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Künstliche Intelligenz: Europa muss aufwachen

Europa darf die KI-Zukunft nicht allein den großen internationalen Playern überlassen, warnt KI-Expertin Vanessa Cann, Keynote Speakerin auf dem A1 Business Forum.

Wir können heute keiner Information mehr vertrauen, meint Vanessa Cann. Daher erfordert der Umgang mit KI besondere Maßnahmen und auch Sensibilität.

Ist die Sorge begründet oder unbegründet, dass die KI den Menschen und seine Arbeitskraft bzw. auch seine Kreativität einmal komplett ersetzen wird? Kann die KI wirklich so smart werden?
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Festlegen kann man das heute nicht. KI geht immer weiter, lernt immer weiter. Wo Menschen gefragt sind, auch in Zukunft, das wäre wohl die soziale Interaktion. Das gesamte Gesundheitswesen ist heute eine Bürokratiemaschine, die oft zu wenig Zeit für Patienten lässt. In den Pflegeheimen fehlt die Zeit für den Menschen. Daher sollten wir soziale Aspekte wieder in den Vordergrund rücken. KI kann auch viel Kreativität lostreten – und ich kenne viele Künstlerinnen und Künstler, die das auch gerne heute annehmen. Sie gelangen damit zu neuen Ebenen, finden Inspiration. Gleiches gilt für Autoren oder Journalisten. KI kann nicht alles übernehmen. Aber wir sollten uns darauf konzentrieren, was uns Freude bereitet und Interaktion fördert. Den Rest kann irgendwann die KI allein erledigen.

Foto: Martin Diepolt/GRAND VISIONS

Was die technologischen Basics betrifft, werden wir künftig noch schnellere Chips und enorme Rechnerkapazitäten benötigen, um das volle Potenzial der KI-Anwendungen ausschöpfen zu können. Da liegt Asien heute bereits weit vor Europa. „Das Feld der generativen KI ist wirklich eine Revolution, Europa muss gerade bei dieser Technologie den Anspruch haben, souverän zu bleiben“, haben Sie in einem Interview mit dem „Handelsblatt“ gesagt. Aber wie soll das gehen?

Das ist die wirklich alles entscheidende Frage! Aber leider schlafen Politik und Unternehmen da. Noch regieren Ängste und teilweise Regulierungswut. Europa hat nun eine KI-Regulierung beschlossen, das ist grundsätzlich okay, aber man muss auch Ideen haben, wie man KI fördert. Microsoft investiert 3,3 Mrd. Euro in die Stärkung der KI-Infrastruktur – gut, aber was heißt das für uns, für Europa? Ruhen wir uns weiter darauf aus, dass Microsoft oder andere Tech-Giganten hier etwas tun, oder machen wir selbst etwas? Man muss sehen, dass wir uns natürlich sonst abhängig machen. Die digitale Souveränität wäre aber enorm wichtig für Europa, für seine Unternehmen und seine Gesellschaft. Da kann KI sehr viel bieten, wenn wir es richtig anlegen. Wenn wir zulassen, dass die großen KI-Sprachmodelle von anderen Kontinenten bestimmt werden, dann beeinflusst das auch die Welt, in der wir leben. Es besteht ein großes Risiko, dass wir unsere gesellschaftlichen Normen dabei aus den Augen verlieren oder die Macht darüber an andere abtreten. Wollen wir nicht fremdbestimmt sein, müssen wir uns jetzt sehr rasch souveräner aufstellen – in der Grundlagentechnologie, aber auch in der Entwicklung von KI selbst.

Sind wir Europäer vielleicht zu vorsichtig? Warten wir zu lange, bevor wir Technologien in den Markt bringen?

Marktpräsenz ist für Europäer sicherlich eine gewisse Herausforderung. Deutschland und auch Österreich sind klassische Ingenieursländer, Technikländer. Wir tun uns schwer mit Software, wollen immer alles von A bis Z durchdenken. Wir sind in der Grundlagenforschung stark, auch in der angewandten Forschung – aber wir bringen zu wenig Produkte auf die Straße. Die tolle Vorarbeit, die wir in Europa leisten, bringen dann andere auf den Markt. Selbst bei vielen neuen Entwicklungen von Google oder OpenAI haben viele Europäer mitgewirkt, die Europa verlassen haben, weil es ihnen bei uns zu langsam und zu eng wurde. Vielleicht müssen Produkte auch nicht immer gleich perfekt sein. Kunden in Europa erwarten zum Beispiel, dass ein autonom fahrendes Auto eben viel sicherer ist als eines, das vom Menschen gesteuert wird. Darf also die Maschine keine Fehler machen, aber der Mensch schon, könnte man da fragen. Besser wäre es, gewisse Entwicklungen und Systeme pragmatischer zu sehen. Mehr Lockerheit und Offenheit täten uns gut – dann könnten wir auch mutigere Schritte setzen. ​​​​​​​

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„KI hält uns einen Spiegel vor“

Neben bekannten Vorteilen sind bei KI oder ChatGPT aber noch viele Fragen offen, beispielsweise was Datenschutz betrifft oder Urheberrecht, auch die Monopolisierung von Informationen – oder schlicht zu geringes Wissen über das Zustandekommen von Daten, und damit auch die Gefahr von bewusster oder unbewusster Manipulation. Worauf müssen wir daher nun besonderes Augenmerk legen?

Wir müssen tatsächlich auf vieles achtgeben, vor allem im gesellschaftlichen Diskurs. Wir können keiner Information mehr vertrauen, weder Bildern noch Videos. Das verändert unsere Gesellschaft. Ein guter Ansatz ist für mich, Bild- und Videodateien beispielsweise mit „Wasserzeichen“ zu versehen, um digitale Echtheit zu zeigen. Das ist ein guter Ansatz und könnte für mehr Transparenz sorgen. In jedem Fall werden von uns allen künftig mehr Akribie und Sorgfalt in der Informationsaufnahme, -verarbeitung und auch -weitergabe verlangt.

Frau Cann, gibt es etwas, dass Sie an der KI hassen?

Schwierige Frage. Hassen ist ein sehr starkes Wort. Vielleicht, dass es sich, je mehr die KI leistet, irgendwann nicht mehr lohnt für uns, selbst über Dinge nachzudenken. Ich habe die Sorge, mich selbst dabei zu erwischen, nur Kurzchecks zu machen, zu wenig Zeit reinzustecken um Ergebnisse nochmals zu prüfen. Doch was man eingibt, bestimmt ja auch die Ausrichtung. Hoffentlich verlernen wir nie, uns nicht einfach Arbeit zu sparen, sondern auch beim Ergebnis immer mitzudenken. Sonst würden wir gesellschaftlich zu sehr abdriften, behäbig, faul und denkfaul werden. Dann würde unsere ureigene Performance leiden. Und die Nähe zum Menschen möchte ich trotz KI nie verlieren.​​​​​​​

Glühbirne

Zur Person

Vanessa Cann hat Nyonic, ein in Berlin ansässiges KI-Unternehmen, das Foundationmodelle für die europäische Industrie entwickelt, mitgegründet. Davor war sie Geschäftsführerin des KI-Bundesverbandes, den sie zum größten Netzwerk für KI-Unternehmen in Europa aufbaute. Sie war eine der Initiatoren der Initiative LEAM (Large European AI Models) und setzte sich früh für den Aufbau einer eigenen KI-Infrastruktur und eine stärkere europäische Zusammenarbeit im Bereich der Gründungsmodelle ein. Beim KI-Bundesverband gründete Cann eine gemeinnützige Akademie für Künstliche Intelligenz, um die breite Öffentlichkeit über KI aufzuklären, und vereinte zehn internationale KI-Verbände im European AI Forum, um europäischen Gründern eine Stimme in der Politik zu geben. Für ihr Engagement für das europäische KI-Ökosystem wurde sie von „Forbes“ zu einer der 30 wichtigsten Personen unter 30 im Jahr 2022 ernannt.

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